Freitag, 19. Dezember 2014

Die zwölf Sinne des Menschen - Der Tastsinn


Goethe: „Die Sinne trügen nicht, aber das Urteil trügt.“
(Sprüche in Prosa)

Dem physische zugeneigte Sinne

Der Tastsinn
Um sich vorzustellen, wie der Tastsinn alleine arbeitet, müssen wir uns vorstellen, nur Tastwesen zu sein. Das gleicht in etwa einem nacktem Wurm, der sich in einem dunklen, unbekanntem Raum.
Im normalen Alltag ist der Tastsinn eng verbunden mit dem Temperatursinn und dem Gleichgewichtssinn.
Der Tastsinn zeigt uns unsere Grenzen und die Grenzen der Welt. Wir werden uns unserer Begrenzung bewusst. Durch den Tastsinn entdecken/ ertasten wir die Welt. Wir spüren einen Widerstand, der Widerstand kommt von Außen. Aber es geschieht auch etwas innerhalb der menschlichen Seele, wenn wir an etwas rühren: wir erwachen. Wir wecken einen Menschen via Tastsinn; ein zartes Streicheln genügt!
(Der Wurm ist weiter entwickelt, als die Seeanemone. Die Seeanemone merkt nicht, ob etwas an sie stößt oder ob sie an etwas stößt. In beiden Fällen zieht sich die Seeanemone zurück. Kommt etwas auf den Wurm zu, zieht auch er sich zurück. Stößt der Wurm allerdings an einen Stein, zieht er sich nicht zurück.)
Der Strampelsack, die (weiche aber spürbare) Begrenzung eines Säuglings ist wichtig zur Entwicklung des Tastsinns. Konturlosigkeit hingegen bewirkt Unsicherheit.
Unser Tastsinn ist nicht so gebaut, dass wir aus der Haut fahren. Es sind keine ausgestreckten Nervenfasern. Wenn der Tastsinn so gebaut wäre, würden wir nie eine Grenze erleben. (Tastkörperchen sind in der Lederhaut liegende Nervenfasern – über der Lederhaut liegt noch die Oberhaut)
Wenn wir den Tastsinn nicht hätten, würden wir alle miteinander vollkommen eins sein, wir würden uns wie ein Wassertropfen im Meer auflösen. Das ist wahrscheinlich ein hinreißendes Gefühl, nur würden wir es nicht merken. Denn um zum Bewusstsein zu kommen, sind zwei Dinge nötig.


Durch den Tastsinn wird uns die Trennung vom Kosmos bewusst. Gleichzeitig spüren, erfahren wir den Kosmos durch den Tastsinn. Dadurch verbindet und Trennt uns der Tastsinn, beides gleichzeitig. Novalis: „Berührung ist Trennung und Verbindung zugleich.“
Der Tastsinn ermöglicht es uns, uns unser ganzes Selbst abzutasten. Erst wenn ein Kind anfängt richtig „ich“ zu sagen, sind seine Ärmchen so lang, dass es sich selbst vollständig abtasten kann.
Der Tastsinn ist der große Lehrmeister der Tatsache, dass wir abgesondert sind.
Vermutlich der älteste leibliche Sinn, bereits am Ende der 4. Schwangerschaftswoche funktionsfähig.



frei nach Albert Soesman
Die zwölf Sinne: Tore der Seele

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